Aufgaben des Gesundheitspersonals

Gesundheitsfachkräfte kommen mit Gewaltopfern, die von einer Zwangs­ oder Kinderehe bedroht oder bereits zwangsverheiratet sind, auf unterschiedliche Weise in Kontakt: 

Bei Patientinnen, die aufgrund von unerklärlichen Verletzungen, Ängsten, einer Depression, von Drogenmissbrauch, Selbstverletzungen usw. eine Gesundheitseinrichtung aufsuchen, liefern die Symptome erste Anhaltspunkte für einen Anfangsverdacht. Da die Betroffenen das Thema in der Regel nicht selbst anschneiden, obliegt es den Gesundheitsfachkräften, das Gespräch zu suchen. 

Bemerkungen über familiäre Probleme sind wichtige Anhaltspunkte, an die man für eine genauere Befragung anschließen kann. Dabei muss die Patientin allein, d. h. ohne Begleitperson (Partner, Familienmitglied, Freund:in), befragt werden. Bei Verständigungsproblemen muss ein oder eine Dolmetscher:in hinzugezogen werden. 

Beispielfragen

  • Wie ist Ihre Beziehung?
  • Lässt Ihr Partner oder Ihre Familie Sie tun, was Sie wollen?
  • Hatten Sie schon einmal Angst vor dem Verhalten Ihres Partners oder eines Familienmitglieds?
  • Werden Sie verbal beleidigt?
  • Fühlen Sie sich zu Hause manchmal unsicher?
  • Wurden Sie zu Hause schon einmal von Ihrem Ehepartner oder von anderen Personen bedroht? 

Abhängig von den jeweiligen Antworten können weitere Fragen gestellt werden: 

  • Wurden Sie zu Hause jemals von Ihrem Partner oder von einer anderen Person verletzt, z. B. geohrfeigt, getreten oder geschlagen?
  • Wurden Sie jemals zum Sex gezwungen?

Quelle: European Union 2016

Selbst wenn die Patientin zunächst keine Angaben zu eigenen Gewalterfahrungen machen will, können diese Fragen enttabuisierend wirken und einen ersten vertrauensbildenden Schritt darstellen. Möglicherweise gelingt es in einem Folgegespräch, dass sich die Patientin offener verhält und detaillierter antwortet. 

In jedem Fall sind die gesammelten Informationen sorgfältig zu dokumentieren. 

Gesundheitsfachkräfte müssen sich darüber im Klaren sein, dass das Erkennen einer bestehenden bzw. bevorstehenden Zwangsheirat eine mögliche Chance für weitere Interventionen ist. Dazu bedarf es eines zwischen der Gesundheitseinrichtung und spezialisierten Organisationen koordinierten Vorgehens (European Union 2016).  

Wie Gesundheitseinrichtungen bei Verdacht auf Zwangsheirat und Verschleppung reagieren können, zeigt der aktuelle Leitfaden des Orient Express 

Information der Patientinnen und Patienten

Im Vorfeld können die Mitglieder der Opferschutzgruppen Informationsmaterial bereitstellen, um wartende Patientinnen bzw. Patienten auf die Problematik aufmerksam zu machen und sie dafür zu sensibilisieren:

  • Auslegen von mehrsprachigem Informationsmaterial zu Zwangsheirat und Kinderehen (wird von Orient Express, Divan u. a. bereitgestellt)
  • Aufhängen von Posters im Patientenwartebereich (wird von Orient Express bereitgestellt) 

Die Informationsmaterialien können bei Orient Express kostenlos bezogen werden. 

Information und Sensibilisierung des Krankenhauspersonals  

Um die Mitarbeiter:innen über die Problematik von Zwangsheirat und Kinderehen entsprechend aufzuklären, ist es erforderlich, das Thema in Schulungen zu integrieren. Zielführend ist es, dazu Vortragende von auf diese Themen spezialisierten Einrichtungen einzuladen.   

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