Für die Gesundheitsfachkräfte ist es gleich zu Beginn der Behandlung wichtig, Hinweise auf Gewalteinwirkung zu erkennen und Wege zu finden, diesen Verdacht zu überprüfen. Hilfreich ist es, sich an Symptomen zu orientieren, die der einfachen Beobachtung zugänglich sind.
Aus Angst, Scham, Schuldgefühl und vermindertem Selbstbewusstsein sprechen betroffene Patientinnen/Patienten nur selten das Erlittene als Ursache ihrer Verletzungen und Beschwerden an. Vielmehr werden fadenscheinige Erklärungen vorgebracht wie:
- „Ich bin beim Fensterputzen von der Leiter gefallen.“
- „Ich bin die Stiege hinuntergefallen.“
- „Ich bin gestürzt.“
Die sogenannten Red Flags liefern erste Hinweise, ob jemand Opfer häuslicher Gewalt ist (Hagemann-White/Bohne 2003). Die aufgelisteten Verletzungen und Beschwerden sind keine eindeutigen Hinweise für das Vorliegen einer Misshandlung. Sie sind jedoch als Warnsignale zu deuten, die es zu überprüfen gilt. Liegen mehrere Verletzungen, verschiedene alte Verletzungen sowie eine wiederholte Konsultation des Krankenhauses vor, dann ist dies als Alarmzeichen einzustufen.
"Red Flags" für häusliche Gewalt sind:
- chronische Beschwerden, die keine offensichtlichen physischen Ursachen haben
- Verletzungen, die nicht mit der Erklärung, wie sie entstanden sein sollen, übereinstimmen
- verschiedene Verletzungen in unterschiedlichen Heilungsstadien
- Partner, der übermäßig aufmerksam ist, kontrolliert und nicht von der Seite der Frau weichen will
- physische Verletzungen während der Schwangerschaft
- später Beginn der Schwangerschaftsvorsorge
- häufige Fehlgeburten
- häufige Suizidversuche und -gedanken
- Verzögerung zwischen Zeitpunkt der Verletzung und Aufsuchen der Behandlung
(Hagemann-White/Bohne 2003)
Das Erkennen der Warnsignale für erlittene Gewalt ist der erste Schritt zu einer erfolgreichen Diagnose. Treten mehrere Warnsignale gleichzeitig auf, ist erhöhte Aufmerksamkeit gefordert bzw. besteht Handlungsbedarf.