Personengruppen, die in Bezug auf ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität vom heteronormen gesellschaftlichen Ordnungssystem abweichen, gelten aufgrund des hohen sozialen Konformitätsdrucks als vulnerable Gruppen. Das englische Kürzel LGBTIQ (Lesbian, Gay, Bisexual, Trans*, Inter*, Queer) umfasst diese Gruppen in ihrer geschlechtlichen und sexuellen Vielfalt.
Häusliche Gewalt in LGBTIQ-Beziehungen
Ein Mythos von häuslicher Gewalt ist, dass diese nur von heterosexuellen Männern in heterosexuellen Paarbeziehungen ausgeübt wird. Dieser Mythos wird nicht zuletzt auch durch das in der Wissenschaft vorherrschende Gender-Paradigma der patriarchalen Machtstrukturen geprägt, welches die Erforschung und Bekämpfung von häuslicher Gewalt sehr stark lenkt (Canon 2015). Tatsache ist, dass häusliche Gewalt in jeder Beziehung vorkommen kann. Die wenigen vorhandenen Studien zeigen, dass LGBTIQ-Personen mindestens ebenso häufig oder sogar häufiger von Partnergewalt betroffen sind (Jaffray 2021, Haller/Temmel 2021, Rollé 2018, Brown/Hermann 2015). Aufgrund der bisher marginalen Berücksichtigung dieser Personengruppen in Forschung und Prävention sind auch die vorhandenen Hilfsangebote im Gesundheitssystem für LGBTIQ-Personen noch unzureichend ausgebaut (Canon 2015, Workmann 2019).
Diskriminierung und Gewalt im öffentlichen Raum
Eine gemeinsame Erfahrung von LGBTIQ-Personen ist, dass sie häufig zur Zielscheibe von Stigmatisierung und Diskriminierung werden. Aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Genderidentität werden Menschen beschimpft, abgewertet und angefeindet und in unterschiedlichen Lebensbereichen, wie Arbeit, Schule und Wohnungssuche, benachteiligt (SORA 2019). Das bedeutet, dass Lesben, Schwule, Bisexuelle, inter- und transgeschlechtliche Menschen häufig erhebliche Einschränkungen von Freiheit und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erfahren. In den letzten Jahrzehnten zeigen sich zwar Fortschritte in Bezug auf Gleichstellung und Schutz der Menschenrechte von LGBTIQ-Personen. Laut Menschenrechts- und Gleichstellungsmonitoring der europäischen Interessenvertretung ILGA-Europe (International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association) erreichte Österreich im Jahre 2022 jedoch einen Zielerreichungsgrad von nur 48 Prozent und lag damit im Ländervergleich an 18. Stelle von 49 europäischen Ländern[1].
LGBTIQ-Personen sind auch häufig Opfer von vorurteilsbedingten Hass- und Gewaltverbrechen, sogenannten "Hate Crimes", die überwiegend im öffentlichen Raum stattfinden. In Österreich werden "Hate Crimes" nach unterschiedlichen Vorurteilsmotiven seit 2020 polizeilich erfasst. Demnach wurden im Jahre 2021 rund 200 homo-, bi- und transfeindliche Straf- und Gewalttaten registriert (BMI 2022).
Im Alltag sehen sich LGBTIQ-Personen einer steigenden Anzahl von Übergriffen mit einer hohen Dunkelziffer und erheblichen gesundheitlichen Folgen ausgesetzt. Die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) befragte insgesamt 140.000 LGBTIQ-Personen nach ihrer Menschenrechtssituation. Diese bisher größte Erhebung, die Hasskriminalität und Diskriminierung gegen LGBTIQ-Personen untersucht, zeigt auf, dass es weiterer politischer Maßnahmen bedarf, um die Sicherheit und Rechte der LGBTIQ-Community zu stärken (FRA 2020).
Konkrete Ergebnisse zu Österreich zeigen Folgendes:
- 33 Prozent der österreichischen Befragten gaben an, im Jahr vor der Umfrage belästigt worden zu sein.
- 11 Prozent gaben an, in den letzten 5 Jahren körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren zu haben - davon meldeten nur 8 Prozent den Übergriff der Polizei.
- 1 von 5 trans- und intersexuellen Menschen wurde in den 5 Jahren vor der Umfrage körperlich oder sexuell angegriffen. (FRA 2020)
Diskriminierung im Gesundheitswesen
Vielen LGBTIQ-Personen fällt es schwer, sich an eine Gesundheitseinrichtung zu wenden, was auf einer historischen und bis in die Gegenwart anhaltenden Stigmatisierung und Pathologisierung geschlechtlicher und sexueller Vielfalt seitens der Medizin basiert. Laut der FRA-Studie fand bei 17 Prozent der befragten Lesben, Schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen der letzte Diskriminierungsvorfall bei der Inanspruchnahme von sozialen Diensten bzw. Gesundheitsdiensten statt (FRA 2020). Stigmatisierung von LGBTIQ-Personen vonseiten des behandelnden Personals ist besonders verletzend, weil sich Menschen, die auf gesundheitliche Hilfe angewiesen sind, in einer besonders sensiblen Situation befinden. Sie stellt daher eine zusätzliche Barriere im Gesundheitssystem dar (Repnik/Schwarz 2021, Zeeman 2019, Aleshire 2019, McGlynn 2019, Grabovac 2014).
Um Benachteiligung und Stigmatisierung von LGBTIQ-Personen im Gesundheitswesen abzubauen, sollen Opferschutzgruppen mit spezialisierten Beratungsstellen (z. B. Transgender-Ambulanz AKH, Beratungsstellen COURAGE) in Kontakt treten. Diese bieten Informationen und Weiterbildungsmöglichkeiten für klinische Mitarbeiter:innen an. Ziel ist es, Stigmatisierung abzubauen und Kompetenzen für den Umgang mit LGBTIQ-Personen zu fördern.
Versorgung von gewaltbetroffenen LGBTIQ-Patientinnen und -Patienten
Eine LGBTIQ-sensible Akutversorgung basiert darauf, dass Fachkräfte mit den zielgruppenspezifischen Besonderheiten und Bedürfnissen vertraut sind und relevante Themen direkt ansprechen können. Insgesamt bedarf es einer zielgruppenspezifischen Kommunikation und eines sensiblen Vorgehens im Untersuchungs- und Behandlungsverlauf, um eine weitere Diskriminierung und Stigmatisierung von LGBTIQ-Personen zu vermeiden.
Erstkontakt
Sensibilität und Respekt sollte in der Kommunikation mit LGBTIQ-Personen selbstverständlich sein. Patientinnen und Patienten sollten gefragt werden, wie sie sich selbst bezeichnen und wie sie angesprochen werden möchten. Eine geschlechtsneutrale Anrede verzichtet auf die binäre Anrede „Frau“ oder „Herr“. Es empfiehlt sich, Patientinnen und Patienten einfach als „Vorname Nachname“ anzusprechen und im Wartezimmer aufzurufen. In Formularen und Dokumentationsbögen sollten unter der Frage nach der Geschlechtszugehörigkeit auch die Kategorien „divers/inter/offen“ und „ohne Angabe“ aufscheinen.
Empfehlungen der Wiener Antidiskriminierungsstelle zur Kommunikation mit LGBTIQ-Personen finden sich hier: https://www.wien.gv.at/menschen/queer/pdf/wast-empfehlungen-intergeschlechtlichkeit.pdf.
Gewaltscreening
LGBTIQ-Personen erfahren nicht nur Diskriminierung, sondern auch Gewalt im privaten und öffentlichen Raum. Mit Screeningfragen kann das Vorliegen von häuslicher Gewalt bei LGBTIQ-Patientinnen und -Patienten geklärt werden (Bass/Nagy 2022):
- Erleben Sie irgendeine Form von Gewalt durch eine Ihnen nahestehende Person?
- Haben Sie jemals sexuelle Gewalt erfahren?
- Haben Sie Angst vor jemandem?
Beratungsangebote und Kontaktstellen für LGBTIQ-Personen
[1]
siehe https://rainbow-europe.org/#8621/0/0 [Zugriff am 21.04.2023]