Anzeige- und Meldepflichten

Mit dem neuen Gewaltschutzgesetz 2019 (BGBl. I  - Nr. 105 2019), das mit 1.1.2020 in Kraft getreten ist, gehen verschiedenen Änderungen einher.

Gewaltschutzgesetz 2019: Strafverschärfungen, Anzeigepflicht, verpflichtende Gewaltpräventionsberatung

Von Interesse für die Gesundheitsberufe (z. B. Ärzte, Pflegepersonal, Psycholog*innen, Psychotherapeut*innen) ist, dass die Melde- und Anzeigepflicht bei schwerwiegenden Gewaltdelikten vereinheitlicht worden ist. Im Falle des begründeten Verdachts einer gerichtlich strafbaren Handlung, sind alle Angehörigen der Gesundheitsberufe zur Anzeige an die Kriminalpolizei oder die Staatsanwaltschaft verpflichtet, wenn

  1. der Tod und eine schwere Körperverletzung herbeigeführt wurde
  2. der Verdacht auf eine Vergewaltigung besteht
  3. Kinder oder Jugendliche misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht werden oder worden sind oder
  4. nicht handlungs- oder entscheidungsfähige oder wegen Gebrechlichkeit, Krankheit oder einer geistigen Behinderung wehrlose Volljährige misshandelt, gequält, vernachlässig oder sexuell missbraucht werden oder worden sind.

Hingegen besteht die Pflicht zur Anzeige nicht, wenn

  • die Anzeige dem ausdrücklichen Willen der volljährigen handlungs- oder entscheidungsfähigen Patientin/des volljährigen handlungs- oder entscheidungsfähigen Patienten widersprechen würde, sofern keine unmittelbare Gefahr für diese/diesen oder eine andere Person besteht und die klinisch-forensischen Spuren ärztlich gesichert sind, oder
  • die Anzeige im konkreten Fall die berufliche Tätigkeit beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit eines persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf, sofern nicht eine unmittelbare Gefahr für diese oder eine andere Person besteht, oder
  • der/die Berufsangehörige, der/die seine berufliche Tätigkeit im Dienstverhältnis ausübt, eine entsprechende Meldung an den Dienstgeber erstattet hat und durch diesen eine Anzeige an die Kriminalpolizei oder die Staatsanwaltschaft erfolgt ist. 
  • bei Kindern und Jugendlichen (siehe Pkt. 3) kann die die Anzeige unterbleiben, wenn sich der Verdacht gegen einen Angehörigen (§ 72 StGB) richtet, sofern dies das Wohl des Kindes oder Jugendlichen erfordert und eine Mitteilung an die Kinder- und Jugendhilfeträger und gegebenenfalls eine Einbeziehung einer Kinderschutzeinrichtung an einer Krankenanstalt erfolgt. 

Mit dem Inkrafttreten des neuen Gewaltschutzgesetzes 2019 sind entsprechende Änderungen folgender berufsständischer Gesetze durchgeführt worden:

  • Ärztegesetz (ÄrzteG, § 54)
  • Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG, § 7)
  • Hebammengesetz ( HebG, § 6a)
  • Kardiotechnikergesetz (KTG, § 7a)
  • MTD-Gesetz (Medizinisch-Technische Dienste,  § 11e)
  • Medizinische Assistenzberufe-Gesetz (MABG, § 13)
  • Medizinischer Masseur – und Heilmasseurgesetz (MMHmG, § 3a)
  • Sanitätergesetz (SanG, § 5a)
  • Zahnärztegesetz (ZÄG, § 21a)
  • Musiktherapiegesetz (MuthG, § 32)
  • Psychologengesetz (§ 37)
  • Psychotherapiegesetz (§ 15)  

In der Praxis übernehmen die Krankenhausverwaltungen diese Aufgabe und leiten die Anzeigen weiter. Im Rahmen der Gewaltanamnese sind die Patientinnen bzw. Patienten auch über die Anzeigepflicht und das damit verbundene Prozedere (Dokumentation, Spurensicherung, Anzeige) aufzuklären (vgl. Informieren).

Mustervorlage Anzeigenformular

SOP Anzeigepflicht bei Vergewaltigung, schwerer Körperverletzung sowie FGM und
anderen Gewaltdelikten gemäß Gewaltschutzgesetz 2019, Praxisbeispiel Wiener Gesundheitsverbund

Obwohl die Gesundheitsfachberufe über relativ weit gefasste Melde- und Anzeigenrechte bei häuslicher Gewalt verfügen, sollte vor einer Meldung immer versucht werden, die Einwilligung der Patientin / des Patienten einzuholen. Schließlich können gegen den Willen der Betroffenen keine Unterstützungsmaßnahmen realisiert und auch keine zielführende Strafverfolgung gewährleistet werden.

Da es sich mitunter um sehr komplexe rechtliche Sachverhalte handelt, ist es im Zweifelsfall ratsam, sich juristischen Rat zu holen.

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